Dieser Artikel wird der Auftakt zu einer kleinen Serie von Texten, mit denen ich ein paddlerisch-musikalisches Selbstexperiment begleite. Bevor ich aber ins Thema einsteige, muss ich ein ganz klein bisschen ausholen.
Wer sich ernsthaft mit der Canadierpaddelei auseinandersetzt, der wird früher oder später über Interpretive Freestyle, also das Paddeln zu Musik, stolpern. Das Paddeln zu Musik ist nicht die ursprüngliche Idee von Freestyle, aber es ist das, was man im Internet und bei YouTube in erster Linie findet, wenn man nach dem Thema sucht. Als ich die ersten Videos gesehen habe, war ich sehr wohl davon beeindruckt, was man mit einem Boot alles anstellen kann, das Paddeln zur Musik hat sich mir aber nicht wirklich erschlossen. Ein Punkt, der mich dabei immer wieder angesprungen hat, ist, dass in der Regel nicht wirklich synchron zur Musik gepaddelt wird. Diese Einschätzung ist wahrscheinlich eine Berufskrankheit bei uns Musikern. Haben wir doch in der Regel unzählige Stunden investiert um musikalische Ideen nicht nur technisch sauber, sondern vor allem auch absolut präzise in der Zeit umzusetzen. Und da reden wir in der Musik vom ganz kleinen Millisekunden-Bereich. Ein Versatz von einer halben Sekunde ist in der Musik also eine Ewigkeit. Eine gewisse Pingeligkeit bitte ich mir also nachzusehen… Ich komme nicht aus meiner Haut. 😊 Durch die Pferdebegeisterung meiner Töchter bekomme ich immer mal wieder Szenen aus einer Dressur mit. Und auch da erwische ich mich immer mal wieder bei dem Gedanken, dass man, wenn man in einen Pferdeschädel einfach kein Rhythmusgefühlt bekommt (von einem Pferd vielleicht euch etwas viel verlangt), die Musik auch weglassen kann. Oder zumindest Musik nutzt, die nicht so sehr reich an rhythmischen Elementen ist.
Vor Jahren habe ich das Thema mal mit einem Freestyle-Instruktor besprochen, der mir sagte, dass ich das ganze mal ohne Musik als eine Sammlung von Übungen zur präzisen Bootsbeherrschung betrachten soll. Das habe ich verstanden und habe seitdem immer wieder mit Freude daran gearbeitet alle Abläufe nach und nach rund zu kriegen. Aus den verschiedenen Gründen, auf die ich jetzt aus Platzgründen nicht näher eingehen möchte, ist das Thema Paddeln zur Musik aber wieder auf den Tisch gekommen. Meine Begeisterung für das Arbeiten an meiner Paddeltechnik ist genauso ungebrochen, wie meine Begeisterung für die Musik. Warum nicht also nochmal einen Versuch machen beides zusammenzubringen.
Ich starte also einen kleinen ergebnisoffenen Versuch meine Paddelei synchron zur Musik zu bekommen. Ich will nicht ausschließen, dass ich das Thema danach nie wieder anfasse oder begeistert weiter daran werkeln werde. Wir werden sehen… 😊
Ich starte also damit eine ganze Reihe von noch recht wirren Gedanken und Ideen zu sammeln und dann in der kommenden Zeit zu sortieren und damit zu experimentieren.
Der wichtigste Punkt zuerst: Wer sagt überhaupt, dass das Paddeln im Interpretive Freestyle wirklich synchron zur Musik sein muss? Die kurze Antwort: Niemand! Es ist ein freies Land und es sollen doch bitte alle so paddeln, wie es sie glücklich macht! Ein Tänzer, der sich nicht synchron zur Musik bewegt, mit sich selbst und der Welt aber im Reinen ist, sich glücklich und selbstvergessen von der Musik tragen lässt, ist weiten Teilen der Menschheit in diesem Moment so weit voraus, dass es absolut keinen Grund gibt irgendetwas zu beanstanden. Im Gegenteil: er soll bitte genauso weitermachen und sich glücklich schätzen so im Flow sein zu können. So lange der Tänzer seinen Tanz nicht zum Beruf machen möchte und sich keiner Marktsituation aussetzen muss (beides im Freestyle eher unwahrscheinlich) hat er alle Freiheiten sich zu bewegen, wie es ihn glücklich macht.
Nur mir armen Tropf kommt die Berufskrankheit dazwischen, dass das Hirn immer alles auf Timingungenauigkeiten hin untersucht. 😊 Also will ich doch mal schauen, ob ich das für mich nicht auch rhythmisch eingeordnet kriege. Ich bin mir sicher, dass das für den ein oder anderen irritierend klingt. Aber ich stelle auch in meinem Musikunterricht immer wieder fest, dass Leute dem Musizieren ein Maß an Freiheit andichten, das es so einfach nicht gibt. Im Gegenteil bewegt man sich in komplexen Systemen von Vorgaben und Standards. Und eben darin liegt für mich die Kunst: allen Anforderungen der Musik gerecht zu werden und trotzdem eigene Idee zu haben und fantasieren zu können. Ich vergleiche das gerne mit Fußball oder anderen komplexen Spielen. Es gibt einen festen Rahmen, eine Sammlung von Regeln und Taktiken, aber interessant wird es dann, wenn mit dem Anpfiff die große Kollektivimprovisation startet.
Bevor meine große Improvisation startet, werde ich aber erstmal Handwerkszeug sammeln und versuchen einige Fragen zu klären. Zum Bespiel, welches Tempo der Musik geeignet ist. Für meine ersten Versuche gehe ich mal von meinem 16-Fuß Prospector aus, der nun wirklich nicht super flink ist. Überhaupt ist das Bewegen von Booten schon eine recht grobmotorische Angelegenheit und damit eine eher langsame Geschichte. Auch sind die Bewegungen eines Bootes zwar sehr schön, aber alles andere als feingliedrig. So entzückend also die Brandenburgischen Konzerte sein mögen, ich vermute, dass sich diese unfassbare Fülle an musikalischen Ideen für mich nicht wirklich interpretieren lässt. Meine erste Vermutung ist also, dass die Musik eher langsam und einfach und dabei in schönen großen Bögen funktionieren sollte.
Dann stellt sich die weitere Detailfrage nach dem Tempo. Ist es hilfreich, wenn das Tempo der Musik zum Tempo meines Grundschlages passt? Ist das eine Basis auf der man dann Manöver passend zur Rhythmik oder zum Puls der Musik fahren kann? Wie lange ist überhaupt ein Manöver in musikalischen Einheiten? Wie viele Takte muss ich für einen Axle einplanen? Wie bekommt man die Übergänge zwischen den Manövern so hin, dass die Bewegungen ein stimmiges Bild zur Musik ergeben?
Und was ist der Weg zur Improvisation? In der Musik beginnt man in der Regel mit dem Nachspielen von bekannten Songs. Bei Zeiten entwickelt man dann eigene Ideen, die man mit viel Arbeit in die üblichen oder unüblichen musikalischen Formen bringt. Und dann ist man evtl. irgendwann so weit, dass auch eine Improvisation ein für ein Publikum nachvollziehbares Stück Musik werden kann. Auch hier teste ich einen ähnlichen Ansatz. Erstmal eine grobe Systematik, dann einen festen Plan testen und schauen, ab wann der Umgang mit den einzelnen Elementen so sicher ist, dass auch eine Improvisation zu guten Ergebnissen führt.
Spannend ist auch die Frage, inwieweit man bereit sein sollte Abstriche bei der Qualität der Paddelschläge und Manöver zu machen, um der musikalischen Vorlage entsprechen zu können. Für mein Empfinden würde ich jetzt sagen, dass wenn man etwas zu Musik macht, dann ist die Musik der Chef. Vielleicht ist also zum Beispiel ein Manöver mal schneller gefahren oder vielleicht sogar ein bisschen hektisch, um trotzdem noch der rhythmischen Vorlage zu entsprechen.
Ich werde im zweiten Teil berichten…
Und wer dazu Ideen hat, der darf sehr gerne seine Kommentare hier posten.
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